Dienstag, 20. Mai 2025
BB Stellungnahme Amtshaftung RKK
Im Folgenden ein Text zur zivilrechtlichen Entschädigung bei sexuellem Missbrauch gemäß der Amtshaftpflicht, der in Deutschland Kirchen unterliegen
Unsere Erläuterung bezieht sich auf die röm. kath. Kirche Deutschlands und gesetzlich geregeltem Schadenersatz, den ihre Institutionen Opfern sexuellen Missbrauchs zu zahlen haben
Die kirchliche Amtshaftung, d.h. zivilrechtliche institutionelle Haftung für Fälle sexuellen Missbrauchs, wurde in einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 26.3.2010 erklärt (1). Die kirchliche Haftung gilt für die Evangelische Kirche, Freikirchen, die Altkatholische Kirche und die Römisch Katholische Kirche. In einigen der Untersuchungsberichte und Fachartikel, die zu kirchlichen Missbrauchsfällen in den letzten Jahren erstellt wurden, wird die Amtshaftpflicht erwähnt. In jüngster Zeit haben Kirchenopfer die jeweils haftende Institution auf Schadenersatz verklagt. Bei zivilrechtlich verjährten Taten verzichteten die für die verklagten Bistümer der Römisch Katholischen Kirche Deutschlands verantwortlichen Personen in einigen Fällen auf die Einrede der Verjährung. In einem juristischen Fachartikel beschreiben Prof. a.D. Norbert Lüdecke aus kirchenrechtlicher und Prof. Stephan Rixen aus staatsrechtlicher Sicht das Problem (2).
Unserer Einschätzung nach ist die Einrede der Verjährung in Fällen der Amtshaftung von Institutionen der Römisch Katholischen Kirche Deutschlands wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger nichtig bzw. dürfte von den Gerichten nicht zugelassen werden, weil die Bischöfe der Römisch Katholischen Kirche weltweit kirchenrechtlich von 1962 –2019 zur Strafvereitelung verpflichtet waren (3). Der verlinkte SZ-Artikel ist übrigens im März 2023 erschienen, d.h. seit mehr als 2 Jahren online. Bitte auch die teils interessanten Kommentare dazu beachten (rechts auf der Seite, auf der der Artikel steht).
Was noch geprüft werden sollte ist, in welcher Weise diese kirchenrechtlichen Regelungen auch Orden betreffen, darunter auch solche Päpstlichen Rechts, zu denen u. a. die Jesuiten und die Erlöserschwestern zählen. Denn Orden unterstehen entweder dem Bischof, der der Diözese, in der der Orden seinen Stammsitz hat, vorsteht oder direkt dem Papst (4). Oder ob für diese Ordensgemeinschaften Sonderverpflichtungen zur Vereitelung von Strafverfolgung bestehen, was aus Sicht des Vatikan nahe liegend wäre, zumal viel der Orden weltweit tätig sind und Einrichtungen für Kinder, Jugendliche und andere besonders schutzbedürftige Menschen betreiben. D.h. von der Warte des Vatikan aus, besteht bei Orden eine besonders große Gefahr, dass Fälle sexuellen Missbrauchs öffentlich werden oder sogar vor staatlichen Gerichten landen.
Ein weiterer Umstand, der die Strafvereitelung erleichterte, ist die regional besonders enge Verflechtung kirchlicher Funktionsträger mit der Justiz, wie sie in einem 2019 in der Süddeutschen Zeitung erschienene Artikel anhand des Verhaltens bayerischer Oberstaatsanwälte skizziert wird (5).
Markus Ogorek, Prof. für Verwaltungsrecht an der Universität Köln (6), äußerte sich in einem 2023 vom Institut für Weltanschauungsrecht veröffentlichten Artikel so : >Einen Rechtsmissbrauch erblickt er jedenfalls dann, wenn das Missbrauchsopfer durch Vertuschung, Aktenvernichtung oder durch "psychischen Druck mittels einer religiösen Drohkulisse", daran gehindert werde, seine Ansprüche klageweise geltend zu machen.< (7).
Die per vatikanischem Dekret angeordnete Strafvereitelung bei Fällen Sexuellen Missbrauchs bedeutete konkret: selbst Bischöfe, die in ihrem Bistum keine Missbrauchstäter dulden wollten, waren gezwungen, der vatikanischen Vorgabe zu folgen und alle Informationen, die sie zum Fällen sex. Missbrauchs und/oder Gewalt erhielten, zu vertuschen, dem Vatikan zu melden und ggf. Unterlagen dahin zu senden, bzw. sie zur nächstgelegenen päpstlichen Nuntiatur zu schicken, wo diese Informationen dann aufgrund der diplomatischen Immunität des Vatikan vor dem Zugriff staatlicher Strafverfolgung geschützt waren. Dadurch erklärt sich Etliches, was in der Vergangenheit herausgearbeitet und veröffentlicht wurde, u.a. die Nutzung von Sprachcodes bei den Eintragungen in Akten und/oder das, was Prof. Norbert Lüdecke in seiner Stellungnahme als schlampige und/oder gar nicht erst erfolgte Dokumentation schildert (8).
In einer der vielen Fachveröffentlichungen zu Fällen Sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich der Römisch Katholischen Kirche Deutschlands werden die kirchenrechtlichen Vorschriften inklusive der Geheimhaltungspflichten sehr genau beschrieben und belegt (9).
Inwieweit ähnlichen Verpflichtungen in der Altkatholischen Kirche, der Evangelischen Kirche Deutschlands und den Freikirchen existieren, sollte unbedingt untersucht werden.
Über Hinweise, Anmerkungen, Korrekturen und Ergänzungen freuen wir uns.
1. Mai 2025, im Auftrag des Betroffenenbeirates beim Fonds Sexueller Missbrauch,
Angelika Oetken Co-Sprecherin info@ergo-oetken.de 1) https://www.bundestag.de/resource/blob/413890/2c763f7449ab65fbdd8a30f26ab94ff3/wd-3-144-10-pdf-data.pdf 2) https://verfassungsblog.de/verfassungsrecht-und-sexualisierte-gewalt-in-der-romisch-katholischen-kirche 3)>Im Jahre 2001 versandte Kardinal Ratzinger im Namen des Papstes an alle Bischöfe der Welt das geheime Schreiben "De delictis gravioribus". Darin befahl er, dass die Missbrauchsfälle nicht an die Öffentlichkeit gelangen durften, sondern an ihn gesandt werden mussten. Der Hintergrund waren die skandalösen Missbrauchsfälle der 1990er-Jahre in den USA, die meist nicht vor kirchliche Gerichte kamen, sondern vor staatliche. Das Ergebnis waren Zahlungen in Millionenhöhe - längst sind daraus Milliarden geworden. Da wollte der Vatikan natürlich nicht zusehen, und der Papst beauftragte deshalb den Präfekten, ein Dekret zu erlassen. Aber damit nicht genug, es wurde als "Päpstliches Geheimnis" firmiert, sprich, wer es nicht geheim hielt, hatte mit schwersten Kirchenstrafen zu rechnen. Mit allerschwersten Strafen, wohl bis zum Entzug des Bischofsamtes, wurde gedroht. Soweit der Inhalt des Geheimschreibens.< >Interessant ist die Vorgeschichte von Ratzingers Dekret. Es ist die Verschärfung von "crimen sollicitationis" von Kardinal Ottaviani aus dem Jahre 1962. Dieser Text ordnet in allen kirchenrechtlichen Einzelheiten die Fälle des Missbrauchs und die entsprechenden Verfahren dazu. Entscheidend dabei ist die völlige Geheimhaltung des rein innerkirchlich rechtlichen Verfahrens und die Androhung streng kirchenrechtlicher Strafen bei Zuwiderhandlung.< https://www.sueddeutsche.de/meinung/missbrauch-in-der-katholischen-kirche-treueeid-aufklaerung-verhindert-ratzinger-johannes-paul-ii-1.5764939 Anmerkung: der Kirchenrechtler Klaus Kienzler, Verfasser des Artikels, verwendet zwar den Begriff "Strafvereitelung" nicht, aber praktisch folgt aus dem, was er schildert, für die Bischöfe der Römisch Katholischen Kirche die Pflicht zur Vereitelung staatlicher Strafverfolgung. D.h. ein Gericht müsste bei zivilrechtlichen Prozessen gegen Institutionen der Römisch Katholischen Kirche die Einrede der Verjährung vor diesem Hintergrund ablehnen bzw. dürfte sie gar nicht zulassen. Die im Artikel erwähnten zwei Dekrete zum kircheninternen Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs: a) De Delictis Gravioribus https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20010518_epistula_graviora%20delicta_lt.html b) Crimen Sollicitationis https://www.vatican.va/resources/resources_crimen-sollicitationis-1962_en.html 2019 hat Papst Franziskus die Regelungen in drei Anordnungen präzisiert, die Pflicht zur Geheimhaltung aber aufgehoben https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2019-03/vatikan-papst-missbrauch-franziskus-kinderschutz-dekret-vatiab.html, https://www.vatican.va/content/francesco/de/motu_proprio/documents/papa-francesco-motu-proprio-20190507_vos-estis-lux-mundi.html 4)>Die Unterscheidung in Institute/Verbände päpstlichen und diözesanen Rechts (cann. 589, 594 CIC/1983) indiziert eine bes. Zuständigkeit einer kirchlichen Autorität, der dann innerkirchliche Aufsichtsrechte zukommen. Aus dieser Unterscheidung resultieren keine Ausschließlichkeiten, da dem Diözesanbischof auch gegenüber Instituten päpstlichen Rechts innerhalb seines Jurisdiktionsbereichs Zuständigkeiten und Befugnisse zukommen wie dies umgekehrt auch für den Apostolischen Stuhl gilt.< https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Orden#II._Kirchenrechtlich 5) https://www.sueddeutsche.de/panorama/katholische-kirche-missbrauch-strafverfolgung-justiz-1.4339753 6) https://verwaltungslehre.uni-koeln.de/verzeichnis/markus-ogorek 7) https://weltanschauungsrecht.de/meldung/einrede-verjaehrung-rechtsmissbrauch-durch-kirche https://twitter.com/ifw_recht/status/1682339437139615744 8)>Zu selten dokumentierten sie. Wo sie es doch taten, verschlossen sie das Material meist klagesicher im bischöflichen Geheimarchiv und überlegten, es gegen staatliche Zugriffe auf immunes Nuntiaturterrain zu bringen.< https://bonndoc.ulb.uni-bonn.de/xmlui/bitstream/handle/20.500.11811/1006/L%C3%BCdecke_Missbrauch.pdf (S. 37) 9)>Aufarbeitung und Dokumentation des sexuellen Missbrauchs von katholischen Priestern und anderen im Dienst der katholischen Kirche stehenden Personen an Minderjährigen in Mecklenburg von 1946 bis 1989< Zitat: >Neben der innerkirchlichen Anzeigeverpflichtung enthält diese Instruktion aber gleichzeitig in Artikel 11 die Klausel, solche kirchlich gemeldeten Fälle absolut vertraulich zu behandeln und für immer den Mantel des Schweigens nach Ahndung der Tat darüber auszubreiten.< https://www.uniklinik-ulm.de/fileadmin/default/Kliniken/Forensische-Psychiatrie/Abschlussbericht_Final.pdf (Unter der Überschrift "Das kirchliche Strafrecht des kanonischen Rechts" S. 16 - 23)